Annemarie Valenta
Kreisen um die Dauer

 2006

So klar sich die Werke von Barbara Höller auch in die Gattungen Malerei und Objektkunst einordnen lassen, so eindeutig bezieht sich ihre Arbeit auch auf ihren konzeptionellen Hintergrund. Nie ist es die ästhetische Erscheinung, die als Ziel einer Konzeption eines Werkes definiert wird. Das Endprodukt ist Ergebnis eines Systems von selbst gesetzten Spielregeln, die der Künstlerin fast keine, dem Material jedoch sehr viele Freiheiten und damit auch Wertschätzung ermöglicht. Es ist der Prozess des Werdens, den Höller interessiert, Werden als das Zusammenspiel mehrerer Kräfte, wie dem der Idee, der menschlichen Möglichkeiten und dem Einfluss von Zeit, Materialeigenschaften und Raum auf den Prozess des Handelns. Das Kunstwerk als das Ergebnis dieser Realprozesses ist jedenfalls zu akzeptieren, auch wenn die tatsächliche Erscheinung möglicherweise selbst der Künstlerin manchmal nicht in ihr ästhetisches Ideal passen sollte.

Ausgehend von den Grundstrukturen des Denkens und Zeichnens beschäftigt sich Höller seit Jahren ausgiebig mit dem Feld der Malerei und des Malprozesses, der jedoch auch zunehmend Verfahrensweisen der Plastik und der Objektkunst behandelt. Die wechselseitigen Beeinflussungen von Bildträger, Malmaterial und Farbauftrag sind Thema ihrer Werkserien, die ihrem Forschungsauftrag entsprechend, in vielerlei Facetten überprüft werden. Thematisch spiegelt sich die Denkweise auch in dem Aufgreifen von geometrischen Formen wieder, die in unterschiedlichen Ordnungssystemen realer und virtueller Natur gefunden werden können.

 
Kreisen um die Dauer von Zeitwahrnehmung

Es geht umd die Wiederholung, das Aneinanderfügen von Zeitabschnitten zu einem willkürlich herausgehobenen Zeitkontinuum. Ein Anfang und ein Ende müssen willkürlich gesetzt werden. In der “Zwischenzeit” passiert das, was für MalerInnen immer das Gleiche ist (und nie dasselbe): das Auftragen von Farbe auf einem Trägermaterial. Dies passiert nun bei Höller in einer “abgehobenen” Art im Wortsinne. Kein Pinsel, keine Spachtel berührt den Untergrund, das Trägermaterial. Gleichsam im Flug wird Farbe herabgelassen und bindet die Zufälligkeit an die Handbewegung. Aus einigen Zentimeter Entfernung drückt Höller das Acryl durch eine Düse, so dass eine dicke Farbschnur die Trägerschicht erreicht in mehr oder weniger gekräuselter, gewellter oder geschlungener Form. Die Farbschnur ist steuerbar durch minimalste Handbewegungen bzw. durch die Geschwindigkeit der Bewegung – jedoch nicht ganz. Die persönliche Note und Befindlichkeit der KünstlerInnenhand wird durch ein Zufallsprodukt aus Schwerkraft und Luftwiderstand zu einem großen Teil ersetzt.

Erinnerungsspirale @ Galerie Raumimpuls Waidhofen/Ybbs (AT)

Nun ist die Trägerschicht der Farbe jedoch Glas gewesen. Glas, so glatt, dass sich die Farbe bequem wieder ablösen lässt. Die einzelnen Farbschnüre können nun zu neuen Objekten zusammengefügt werden. Das frisch abgelöste Material ist beweglich und kann als “Linie” zwar begriffen, aber auch in dreidimensionale Form gebracht werden. Höller dreht die Schnüre, so dass vorne und hinten aneinanderhaften durch die dem Material eigenen Klebefähigkeit.

 

In kleinen Portionen ist Zeit schon eher begreifbar als in ihrer Gesamtheit der Ewigkeit. Begriffen, nein besser erahnt sind die Zeitportionen nun auch einordenbar. Neu ordenbar. Die Ordnung der Zeit als wichtiges Element in einer von der Zeit disziplinierten Gesellschaft, die einer rasanten Beschleunigung unterworfen ist.

 

So entstehen Zeitabschnitte (Portionen) in spiralförmiger Form, die an jene Baumteile erinnern könnten, welche die alten Griechen als Zeitordnungselemente von einem großen Baum herunterschnitten. Baumscheiben. Scheiben. Farbscheiben.

 

Die spiralförmigen Acrylschnurobjekte bestehen nun aus einzelnen Elementen, denen jeder ein Zeit (oder Raum-)maß zugrunde liegt. Zeit (und Raum) kann nur durch das Maß, begriffen werden, sei es durch Sekunde und Meter, sei es durch Alter und Körpergröße. Diese Maßeinheiten sind z.B. immer 1 Meter Acrylschnur oder auch 10 Sekunden “Farbe rinnen lassen”. Die Realität von Zeit wird so durch das Fließen von Farbe sichtbar gemacht. Ebenso die Abhängigkeit der Zeitrealität von menschlichen Befindlichkeiten. (zittert sie, die Künstlerin, ist sie müder oder enerviert – je nach diesem Zustand wird ein längerer oder kürzerer, ein kurvenreicherer oder ein geraderer Weg zurückgelegt).

 

Die Farbschnecken liegen in einem Ordnungssystem am Boden, so dass das große Äquivalent von Zeit, nämlich der Raum eine ebenso wichtige Bedeutung erlangt, vorhandene Raster der Raumstruktur werden in die Präsentation mit einbezogen.

 

Die Ordnungssysteme von Höller ziehen sich durch ihr gesamtes Werk. Auch andere Objekte benützen solche Anordnungen. Die Auseinandersetzung von Trägermaterial und „Mal“material führte Höller zu der Einsicht, dass nicht nur Holz oder Leinwand, sondern jeder beliebige Gegenstand als Bildträger verwendet werden kann. So entstehen Werke, die Gebrauchsgegenstände samt ihren eigenen, eingeschriebenen Zeitspuren mit einem “Zeitüberguss” (nicht “Zuckerüberguss”) überschütten. Mit einem fremdem “Zeitdekor”, der sie nun endgültig für reale Benützung unbrauchbar machen wird. So lässt Höller aus jener “ehrfurchtsvollen” Distanz von 10 cm Farbe durch die Düse rinnen und das während eines vorher genau definierten Zeitabschnittes. z.B. 1 Minute lang. Oder 1 Sekunde lang. “Farbe auf die Realität rinnen lassen” ist der Titel dieser Arbeiten. Der Arbeitsprozess als verlängerter Arm der Zeitmessung und ihrer diktatorischer Eigenschaften.

 

Nun gibt es noch eine Spielvariante in der Thematik Zeit. Keine neue Erkenntnis ist es, dass Realität bzw. Alltagsmaterialien nicht nur als Bildträger fungieren können, sonder das ein Gegenstand selber auch als Kunstwerk definiert werden kann. Umgekehrt muss es natürlich auch möglich sein, dass ein Gemälde, also Farbe, ein funktionaler Gegenstand sein kann.

 

So erarbeitet Höller die Austauschbarkeit von Malerei und Träger. Die Plastik wird gegen den Sockel getauscht und umgekehrt. In der Erweiterung können auch 2 Plastiken und 1 Sockel oder 2 Sockel und eine Plastik vereint werden. So entsteht eine Reihe von Objekten, die die Materialität und den Herstellungsprozess und den Veränderungsprozess deutlich sichtbar machen. In ihrer Variabilität und der mathematischen Gliederung einsteht eine filmhafte Abfolge des Tausches. Des Tauschwertes. Als Sockel wählte Höller die Kasten- oder Schachtelform, um sowohl die Ordnung wie das Anhäufen von Besitz anzusprechen. Ein Holzkasten drunter, ein Holzkasten in der Mitte ein Acrylobjekt oben. Oder umgekehrt. Oder vertauscht. Oder getauscht. Alles ist möglich in einer beschleunigten Zeit ohne Utopien. Alles ist möglich und das möglichst schnell.

 

Nur schade, dass sich Zeit nicht anhäufen lässt.

Annemarie Valenta, Soziologin und Kunstfan, lebt in Österreich.